Über die Einsendungen zu den Themen 2020 und die Besonderheit der Preisträgertexte
Thema 1: Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht… (Hölderlin) Höreindrücke. Beobachten, beschreiben, reflektieren
DDas Thema 1 stellt jedes Jahr wieder besondere Anforderungen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es soll beobachtet, das Beobachtete beschrieben und schließlich über das Beschriebene nachgedacht werden. In diesem Jahr hieß das Thema: Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht [...]. (Hölderlin) Höreindrücke, beobachten, beschreiben, reflektieren. Das Beobachtungsthema war in diesem Jahr also erstmals eigentlich ein Hörthema. Die Operatoren blieben freilich gleich, auch wenn der erste, „Beobachten“, akustisch zu verstehen war. Es sollte, ausgehend von Wahrnehmungen, beschrieben und reflektiert werden. Dabei konnte das Endprodukt natürlich in verschiedener Form abgefasst werden. Sachtexte waren ebenso denkbar wie literarische Gestaltungen. In der Folge soll, ausgehend von der Aufgabentrias „Beobachten, Beschreiben, Reflektieren“ das Feld der Beiträge in den Blick genommen werden.
Die Beobachtung, beziehungsweise der Höreindruck konnte in sehr konkreter Weise erfolgen, indem erlebtes Hören protokolliert wurde. Ein derartiges Vorgehen wurde öfters gewählt. Auf der anderen Seite standen Konstruktionen von Hörerlebnissen, deren sprachliche Fassungen dann eher literarisch oder erzählend gefasst waren. Besonders interessant war es auch, wenn das Hören mit besonderen Erfahrungen kombiniert war, wie zum Beispiel mit dem Verlust des Sehvermögens. Hier kam dem Hören eine besonders zentrale Bedeutung zu. Immer aber war die Vielfalt des Wahrgenommenen Merkmal des Gelungenen.
Das Beschreiben gehört zum wirklich anspruchsvollen Schreiben. Das zeigte sich deutlich in den verschiedenen Arbeiten. Sehr häufig wurde in den Wettbewerbsarbeiten die Beschreibung in ein erzähltes Erlebnis eingebettet. Das erwies sich in einigen Fällen als erfolgreiche Strategie, in anderen Fällen geriet das Beschreiben über dem Erzählen mehr und mehr aus dem Blick, sodass dem Lesen oder den Lesenden eine Nebenrolle als eher nebensächliches Dekor blieb. Da aber, wo die Sorgfalt und Treffsicherheit des Beschreibens offensichtlich gut bewältigtes Ziel des Schreibens war, entstand auf differenzierte Weise Gelungenes.
Die Reflexion schließlich hat die Aufgabe, die Bedeutung des Beobachteten oder Gehörten für das erzählende oder beschreibende Ich herauszustellen, den Ausschnitt Welt auf das Individuum zu beziehen. Hier ist der Punkt, an dem Bedeutung im literarischen Sinne entsteht. Es fanden sich beeindruckende und überraschende Weisen, wie reflektiert wurde. Dabei konnte die Reflexion im Text explizit gemacht werden, sie konnte aber auch einer Gestaltung zugrunde liegen. Beides war hochwillkommen. In den aktuellen Arbeiten zeigte sich die Welt des Gehörten als eine ästhetisch wie gedanklich sehr unterschiedlich geformte Welt. Am Ende konnten sechs Arbeiten zum Thema 1 mit einem Preis ausgezeichnet werden, was ungewöhnlich viel ist. Natürlich gab es weitere hochwertige Beiträge im Feld, die eingangs beschriebenen Anforderungen wurden aber besonders in den sechs ausgezeichneten Arbeiten in rundum preiswürdiger Weise bewältigt.
Der gesamte Erfolg der Schreibbemühungen, die zu den vielen und vielfältigen Beiträgen geführt haben, liegt nicht nur in den mit Preisen ausgezeichneten Arbeiten. Die ganze Vielfalt zeigt sich erst im gesamten Feld der Beiträge. Dies spricht ganz gewiss nicht gegen die Preistexte, wohl aber für das Potential der eingesandten Arbeiten insgesamt und ihrer vielen Verfasser.
Thema 2: Ich habe meine Lust an der Zukunft. (Hölderlin) Zukunftsentwürfe in der Literatur.
Das Thema 2 ist das literaturbetrachtende Thema. Es fordert die Auseinandersetzung mit literarischen Texten unter einer vorgegebenen Fragestellung. In diesem Jahr hieß das Thema: „Ich habe meine Lust an der Zukunft. Zukunftsentwürfe in der Literatur.“ Das Eingangszitat stammt, dies eine Referenz an das entsprechende Jubiläumsjahr, von Friedrich Hölderlin. Die Aufgabe wurde 15 mal gewählt, was im Vergleich mit anderen Jahren und der Gesamtzahl der Einsendungen durchaus respektabel ist. Es konnten für Bearbeitungen dieser Aufgabe in diesem Jahr keine Preise vergeben werden, was der Erläuterung bedarf, denn keineswegs waren alle Beiträge misslungen, bei weitem nicht. In der Folge sei auf das in der Aufgabenstellung Geforderte eingegangen:
Die Aufgabe betrifft eine literarische Gattung, die Utopie. Diese hat in der literarischen Wirklichkeit im Wesentlichen zwei Umsetzungen, die Eutopie (oft auch einfach Utopie genannt) und die Dystopie, die negative Zukunftsvision. Was nun die Aufgabe forderte, war die Auseinandersetzung mit Formen der Utopie in literarischen Werken. Was nicht gefordert war, oft aber versucht wurde, war die Erarbeitung von Aussagen oder Urteilen über die Gattung insgesamt. Es war aber durchaus auch möglich, die eigenen Leseerfahrungen in den Fokus zu richten. Auch daraus konnten sich spannende Positionen zur Literatur oder zum Eingangszitat entwickeln.
Tatsächlich sind, das zeigte sich auch bei der Sichtung des Wettbewerbsbeiträge, einige Vorgehensweisen dominant geworden. So zeigte sich immer wieder die Neigung, Werke zur Betrachtung heranzuziehen, die aus schulischem Kontext bekannt waren, wie zum Beispiel den Goldenen Topf, ein gut geeigneter Text für die Aufgabe 2. Ein weiterer häufig erwähnter Text ist Utopia von Thomas Morus, an dessen Behandlung aber häufig ein Problem vieler Arbeiten sichtbar wurde. Es wurde nämlich in zahlreichen Fällen deutlich, dass die Aussagen über Utopia oder andere durchaus passende Texte ihre Quelle in Texten über die Werke, nicht in den Werken selbst hatten. In solchen Fällen konnte im Wesentlichen nur referiert, nicht aber eigene Positionen gedanklich entwickelt werden. In anderen Texten war offensichtlich selbst gelesen worden, die sich entwickelnden Gedanken aber richteten sich auf die einzelnen Werke, was gut ist, nicht aber auf den Zukunftsentwurf in der Literatur an sich. Damit endeten Arbeiten, bevor sie in den Ergebnisbereich vorgedrungen waren. Auch hier konnte dann kein Preis zuerkannt werden. Schließlich gab es noch Arbeiten, die in der direkten Konkurrenz zu anderen Arbeiten, die zu anderen Themen verfasst waren, zurückstehen mussten. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Preise ist leider begrenzt, sodass das Beste sich als der Feind des Guten erweist.
Der gesamte Erfolg der Schreibbemühungen, die zu den Beiträgen zum Thema 2 geführt haben, zeigt sich in diesem Jahr nicht in mit Preisen ausgezeichneten Arbeiten. Dennoch aber gilt es hervorzuheben, dass intensive Arbeit an und mit Texten geleistet wurde. Damit liegen keine Preistexte vor, wohl aber Belege für das Potential der eingesandten Arbeiten insgesamt und ihrer Verfasserinnen und Verfasser. Zur erneuten Teilnahme am Wettbewerb wird dringend ermutigt.
Thema 3: (Ver-)käufliches Leben. Influencer und Gesellschaft
Es war ein einfaches Video, mit dem der Youtuber Rezo im vergangenen Jahr den Europawahlkampf der CDU aus dem Takt brachte und damit eine breite Diskussion um den politischen und gesellschaftlichen Einfluss von Influencern entfachte. Die Aktualität dieses Themas zeigt sich auch an den Einsendungen zum Landeswettbewerb; 73 Arbeiten beschäftigen sich mit dem Thema „(Ver-) käufliches Leben. Influencer und Gesellschaft.“ Neben einer genauen Beschreibung des Phänomens verlangte die Aufgabenstellung eine kritische Reflexion der Rolle und Wirkung von Influencern in unserer Gesellschaft.
Die Preisträgerarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Phänomen kenntnisreich und differenziert analysiert und sowohl positive als auch negative Aspekte beleuchtet. So wird deutlich, dass unter dem Modewort „Influencer“ sehr unterschiedliche Akteure mit jeweils eigenen Motiven und Absichten zusammengefasst werden. Auf der einen Seite, so zeigt die Arbeit, verfolgen viele Influencer rein kommerzielle Ziele und missbrauchen gezielt das persönliche Vertrauen, das die Nutzer in sie setzen. Dabei zeigen viele Influencer eine problematische Anpassung an den Mainstream, vor allem an traditionelle Rollenbilder. Auf der anderen Seite macht die Arbeit jedoch auch deutlich, dass viele Influencer ihren Einfluss verantwortungsbewusst nutzen, etwa indem sie auf wichtige politische Themen oder Fragen des Umweltschutzes aufmerksam machen. Die Arbeit schließt mit einem Appell an den mündigen Rezipienten, dem eine kritische Haltung ohne pauschale Ablehnung oder naives Vertrauen empfohlen wird.
Thema 4: Steueroase, Handelskrieg, Entsorgungspark – die Macht der Metaphern. Untersuchen Sie an Beispielen, wie Metaphern unsere Weltsicht prägen.
Die euphemistische Bezeichnung „Entsorgungspark“ lässt eher an Freizeitvergnügen denken als an verrottenden Abfall. Solche und andere Konstruktionen sind der Ausgangspunkt für unser diesjähriges Thema vier aus dem Bereich Sprache. Metaphern sollten daraufhin untersucht werden, wie sie unsere Weltsicht prägen. Dazu galt es zunächst Begriff und Funktion der Metapher genauer zu beschreiben. Die Frage, inwiefern Sprache die Weltsicht beeinflusst und welche Rolle dabei Metaphern spielen, führt auf die Frage nach deren diskursiver Macht.
Bei einer Fülle von aktuellen Publikationen zum Thema mussten die Bearbeiter nach einer Sichtung der Forschung sinnvolle Schwerpunkte setzen. Schnelles Zusammenschreiben von Google-Ergebnissen macht noch keinen guten Beitrag aus. Ergiebig wurde es dann, wenn die Beiträger einen eigenen Zugang fanden. Die eigenständige und einschlägige Auswahl der Beispiele und eine gewissenhafte Untersuchung ihrer Konstruktion und Wirkung waren Bedingung zum Gelingen der Arbeit.
Der Anspruch des Themas hat offensichtlich die Bearbeiter gereizt. In den fünfzehn eingesendeten Arbeiten war durchweg ein Interesse an den sozialen und politischen Funktionen von Metaphern zu erkennen. Allerdings wurde dies manchmal zu sehr zu einem Positionenreferat und nicht immer wurden eigene Beispiele detailliert untersucht. Dennoch erreichten mehrere Texte die Endrunde und es waren durchaus wissenschaftliche Talente zu erkennen.
Die drei ausgewählten Texte zeichnet gleichermaßen Gründlichkeit in der wissenschaftlichen Rezeption und Eigenständigkeit in der Untersuchung aus. Sie sind gedanklich klar strukturiert und bringen den Lesern durch einen guten Aufbau und eine flüssige Sprache das Thema nahe.
Während eine Arbeit bezogen auf das Thema Macht sprachliche Konzeptionen des Staates und der Steuer untersucht, widmet sich eine andere schwerpunktmäßig der umweltpolitischen Debatte. Die dritte preisgekrönte Arbeit beginnt ihren Untersuchungsgang bei poetischen Metaphern und setzt sie im Alltagsgebrauch von sprachlichen Bildern fort. Sie vermittelt authentisch das Staunen über die Macht der Metaphern.
Thema 5: (D)ie Natur verschließt die Arme, und ich stehe, wie ein Fremdling, vor ihr, und verstehe sie nicht. (Hölderlin) Gestalten Sie eine Situation
Ein Hölderlin-Zitat aus Hyperion gab in diesem Jahr den Schreibanlass für das Thema 5, welches mit 78 von 385 Einsendungen nach Thema 7 das am zweithäufigsten gewählte Thema darstellte. Drei Preise konnten am Ende von der Jury in diesem Themenbereich für besonders gelungene Texte vergeben werden.
Diese kreativen, literarischen Texte nahmen auf unterschiedlichste Art und Weise die Herausforderung an, inspiriert durch das Hölderlin-Zitat eine Situation zu gestalten.
Wie jedes Jahr lag das Hauptaugenmerk dabei darauf, dass tatsächlich eine Situation kreiert und allzu ausuferndes Erzählen über Zeit und Raum hinweg vermieden wurde.
Präzises Hinsehen und gekonntes thematisches Verdichten wurde von den Schreibenden erwartet. Darüber hinaus stellte es selbst in ansonsten sehr gut gelungen Texten eine große Schwierigkeit dar, den Begriff der Natur weder zu eng noch zu weit zu fassen. So führte beispielsweise eine Reduktion auf die menschliche Natur allein am Ende sehr weit vom eigentlichen Thema weg, während eine allzu explizite Verhandlung aktueller Themen – beispielsweise des Klimawandels – den Texten bisweilen jeglichen Interpretationsspielraum wegnahm.
Die drei zuletzt mit Preisen ausgezeichneten Arbeiten schildern auf sehr subtile, individuelle und eigenwillige Weise Fremdheitserfahrungen von Mensch und Natur, die beim Lesen erheitern, berühren oder irritieren.
So wirft die skurril gestaltete Erzählung Das Grunzen, in der ein Aussteiger sich in seiner Waldhütte des Nachts plötzlich in ganz besonderer Gesellschaft wiederfindet, die Frage auf, wer hier eigentlich der Eindringling ist – Mensch oder Tier? Kann der Mensch friedlich in und mit der Natur leben, kann er eins mit ihr werden? Erbarmungslos zieht der Protagonist Bilanz und hält fest: „Mensch gegen Natur, Zivilisation gegen Wildnis – ein ewiger Kampf.“
Während der Kampf des Waldexilanten gegen Insekten und Feuchtigkeit in seinem Naturdomizil beim Lesen eher zum Schmunzeln anregt, lässt ein Kampf, der an der Ostküste Japans bereits verloren wurde, in der Erzählung Und dann, wie aus dem Nichts eine ganz eigene, melancholische Traurigkeit entstehen. Ein alter Mann begegnet in seiner Trauer einer jungen Frau auf einem Friedhof. Er begegnet auch dem Meer, das ihm gleichzeitig alles bedeutet und alles genommen hat. Auf ganz behutsame Art und Weise werden in dieser Erzählung die Fremdheitsgefühle für ein ehemals vertrautes Naturelement ausgedrückt und verarbeitet.
Fremdheitsgefühle gegenüber der Natur thematisiert auch die dritte bepreiste Arbeit und schafft dabei eine ganz andere, eher aggressive Grundstimmung. Der Protagonist sucht auf einem Spaziergang den Winterwald, wie er ihn als Kind erlebt hat. Er findet diesen jedoch kalt und stumm, erlebt sich selbst als Eindringling und sieht sich gezwungen, sich zu fragen, wer er eigentlich geworden ist. Eindrucksvoll verpackt der Text diese Erfahrungen der Entfremdung in Worte und endet mit der Flucht des Protagonisten ins warme Drinnen, wo zumindest noch kümmerliche „Naturreste“, Sukkulenten und der Bildband „Die schönsten Wälder der Welt“, auf ihn warten.
Thema 6: ir ungemach was vile grôß / in dem vinstern walde (Veldeke) Schauplatz Wald. Vom „wilden Wald“ mittelalterlicher Erzählungen zum Wald in neuerer Literatur – vergleichen Sie Bedeutung und Funktion.
Thema 6 ist unser mediävistisches Thema. Hier beschäftigen sich die SchülerInnen mit Literatur des Mittelalters. In diesem Jahr ging es um den „Schauplatz Wald“. Dabei sollte der Wald in mittelalterlichen Erzählungen mit dem Wald in neuerer Literatur verglichen werden. Für die neuere Literatur waren die SchülerInnen frei in ihrer Auswahl. Wichtig waren hier einerseits die genaue Textarbeit und andererseits die Herausarbeitung interessanter Aspekte des Vergleichs der Bedeutung und Funktion. Bei der Textauswahl für das Mittelalter gaben wir höfische Romane wie „Parzival“, „Iwein“ und „Erec“ an. Texte des Mittelalters mussten Bestandteil sein.
Leider gab es nur 3 Einsendungen, von denen aber 2 Texte mit einem Preis ausgezeichnet werden konnten und eine von diesen beiden zusätzlich mit dem Sonderpreis für wissenschaftliches Arbeiten, der jedes Jahr an eine Arbeit verliehen wird. Beide Arbeiten überzeugten die Jury sofort vollkommen, weil sie beide auf dem Niveau einer Proseminararbeit an der Universität waren. Die eine Arbeit beeindruckte uns durch die Sammelarbeit und die durchdachte und wissenschaftliche Struktur. Hier wurde sehr differenziert der Wandel des Motivs vom Mittelalter zur Neuzeit herausgearbeitet. Die andere Arbeit überzeugte zusätzlich durch einen hervorragend zu lesenden Stil und einen aktuellen Bezug zu Peter Wohllebens Werke. Beides sind Arbeiten, zu denen man den Verfasserinnen nur gratulieren kann.
Thema 7: Bilder einer Ausstellung. Schreiben Sie fiktional zu realen Kunstwerken.
Mit 127 Einsendungen ist das literarische Thema sieben in diesem Jahr unser Spitzenreiter. Kunstwerke regen zum eigenen Schreiben an. Den Plural im Titel haben wir bewusst gewählt. Es sollten mehrere Bilder, die real in einer Ausstellung hängen oder als eine solche zusammengestellt werden könnten, miteinander in eine fiktive Beziehung gebracht werden. Die Bearbeiter*innen nutzten dabei die Freiheit der Aufgabenstellung zu sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Innere Monologe, Stimmungsbilder, Momentaufnahmen aus der Sicht von Figuren oder auch ausgeführte Handlungen über längere Zeiträume wurden entworfen und literarisch gestaltet.
Eine der preisgekrönten Arbeiten erzählt in personaler Er-Perspektive den Prozess der Entstehung eines unvollendeten Selbstportraits von Egon Schiele. In der literarischen Bearbeitung verdoppelt sich der im Portrait eingefangene skeptische Blick des Zeichners auf sich selbst. Sprachlich genau und inhaltlich tiefgehend wird hier das Fragment in der literarischen Fantasie begründet und damit in gewisser Weise zu einem neuen Bild vervollständigt.
Ganz anders arbeitet ein anderer der ausgewählten Texte. Zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche abstrakte Bilder treten in lockerem Poetry-Slang-Ton in Dialog miteinander. Dabei werden große Themen wie das künstlerische Selbstverständnis und die Todesnähe einer sterbenden Kreatur auf bestechende Weise mit der ästhetischen Gestaltung in Beziehung gesetzt. Beide Bilder kommentieren sich gegenseitig. Eindrucksvoll ist die Umsetzung formaler Merkmale der abstrakten Bilder in eine eigene künstlerische Sprachform.
Zwei der ausgewählten Arbeiten haben sich besonders gut auf das Thema Ausstellung eingelassen. Das mythologische Motiv des Narziss hat bildende Künstler über Jahrhunderte hinweg fasziniert. Eine der Arbeiten wählt diverse Darstellungen vom barocken Gemälde bis zur Installation von Eliasson aus und lässt Narziss in verschiedenen Stimmen zu Wort kommen. Seine eitle Hybris aber auch seine bis ins Depressive gehende Angewiesenheit auf Anerkennung drücken sich dabei vielfältig und sprachlich dicht je in epocheneigenem Duktus aus.
Die Bilder des Fotozyklus „Exodus“ von Sebastião Salgado portraitieren Menschen, die auf der Flucht sind. Sensibel gibt eine weitere Arbeit den Menschen auf den Fotos eine Stimme und entwirft ihre Geschichten. Dabei verbindet sich ein genaues Hinsehen mit der emphatischen Kraft, sich in die Portraitierten hineinzuversetzen und ihre Perspektive literarisch zu gestalten.
Insgesamt waren aus Thema 7 mehrere Werke in der engeren Auswahl. Die Gelegenheit zum literarischen Schreiben über Werke der bildenden Kunst hat sich insofern als Erfolgsmodell erwiesen, auch wenn etwas zu wenige Bearbeiter den Plural ernst genommen und den Ausstellungscharakter ins Zentrum gestellt haben.
Thema 8: Und darum ist … der Güter Gefährlichstes, die Sprache, dem Menschen gegeben. (Hölderlin) Schreiben Sie einen journalistischen Kommentar.
Auch in diesem Wettbewerbsjahr gab es wieder ein explizit journalistisch ausgerichtetes Thema. Es galt einen Kommentar zu schreiben, der vom oben zitierten Ausschnitt des Hölderlin-Gedichts „Im Walde“ ausgehen sollte. Hölderlin bescheinigt der Sprache in eben diesem Gedicht einen janusköpfigen Charakter, indem er ihr sowohl schöpferische als auch zerstörerische Macht zuschreibt.
Man musste also einerseits die Wirkungsmacht von Sprache inhaltlich differenziert ausloten und andererseits der Textsorte „journalistischer Kommentar“ gerecht werden. Diesem zugegebenermaßen nicht geringem Anforderungsprofil genügte letztlich nur eine von 22 Arbeiten.
In Bezug auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema erreichten uns viele sehr reizvolle Texte, die sich mitunter von den Ursprüngen der Sprache ausgehend anhand von vielen auch aktuellen Beispielen mit dem Gefahrenpotenzial der Sprache auseinandersetzten. Als Negativbeispiele wurden hier sowohl die Sprache der NSDAP als auch der AfD oder der Identitären Bewegung herangezogen, als positives Beispiel die Grundsätze der Französischen Revolution „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ gegengeblendet. Um das Potential von Sprache begreiflich zu machen, wurden darüber hinaus teilweise auch sprachwissenschaftliche Konzepte wie „Framing“ oder „Narrativ“ fruchtbar gemacht.
Leider entsprachen nicht alle eingereichten Arbeiten dem Textformat „Kommentar“. Mitunter mussten auch Abstriche in Bezug auf die sprachliche Gestaltung der Texte gemacht werden. Viele der Texte waren darüber hinaus auch zu erörternd oder nicht meinungsstark genug.
Bei der preisgekrönten Arbeit handelt es sich um einen sehr gelungenen Kommentar. Im ersten Absatz wird das Thema nicht nur klar beschrieben, sondern auch mit der starken These, dass Sprache die gefährlichste Waffe des Menschen sei, unterlegt.
Die Autorinnen belegen diese These mit passenden geschichtlichen Beispielen, spannen den Bogen hin zur Gegenwart und kontrastieren die negativen mit den positiven Wirkmächten von Sprache. Der gesamte Text ist logisch aufgebaut und klug erläutert, man kann den Gedankengängen gut folgen. Außerdem kommt die Meinung beider ganz klar zum Ausdruck, womit sie der Textsorte Kommentar absolut gerecht werden.
Wir freuen uns, diesen brillanten Text auszeichnen zu dürfen.
Geschrieben von den Juroren des Landeswettbewerbs Deutsche Sprache und Literatur Baden-Württemberg im Juni 2020